Das ist immer noch ein absolutes Tabuthema und viele glauben, dass es tätliche Übergriffe bedeutet, die Gepflegte oder auch Pflegende erfahren, doch dies ist, so vermute ich, doch hoffentlich die Ausnahme.
Dennoch findet Gewalt in der Pflege immer wieder statt. Meist unterschwellig, nicht immer gezielt eingesetzt, aber dennoch Gewalt ausübend und verletzend.
Gewaltausübung ist für mich schon, wenn der andere sich stur, nicht bemerkend stellt, und den anderen in die hilflose Bittstellung zwingt.
Ich möchte das mal an einem Beispiel festmachen, wie ich es öfters erlebe.
Ich habe mir in meiner Versorgung die Mühe gemacht, etwas Struktur in den Tagesablauf zu bringen, indem ich immer wiederkehrende Tätigkeiten, die regelmäßig anfallen, auf sogenannten Tagesrhythmuskarten für die 7 Wochentage zusammengefasst habe.
Auf diesen Karten steht z.B., was der Pflegende mich bitte täglich fragen sollte. Z.B. ob er mir das Gesicht und die Hände waschen soll, mir Lippenstift auftragen soll, mich durchbewegen soll, meinen Fußboden vor dem Bett saugen soll, mir regelmäßig Trinken anbieten soll, mir Tracheostomapflege anbieten soll, meine Regale abstauben soll, meine Blumen gießen soll, meinen Betttisch aufräumen soll etc..
Ich habe es aufgeschrieben, damit klar ist, dass ich das so gerne hätte, ohne immer wieder darum bitten zu müssen. Es ist nicht leicht, immer nur Bittstellerin zu sein. Ich wünsche mir immer, dass man mir auf halben Weg entgegen kommt und man mich auch fragt, was ich gerne möchte...
Das funktioniert leider nur mehr schlecht als recht,dochmusste ich im letzten Jahr die bittere Erfahrung mit einer Person aus meinem Pflegeteam machen, dass es noch ignoranter geht, indem sie das "mich fragen" völlig einstellte und oft einfach nicht mehr mit mir kommunizierte.
Das war ein großes Problem für mich. Sie war die Person, die eigentlich die meiste Zeit mit mir verbrachte und auf deren Willigkeit, bei mir Ganzkörperwäsche, Haarwäsche, Tracheostomapflege und Durchbewegen meiner Arme und Beine durchzuführen, war ich zwingend angewiesen, wenn ich keine körperlichen und gesundheitlichen Schädigungen davontragen wollte.
Wir hatten seit längerem ein Kommunikationsproblem, sie war ausgepowert und abgespannt. Doch da wir in den von mir gesuchten Aussprachen nie zu einem anderen Ergebnis kamen, als dass "alles ok wäre und ich mir keine Gedanken zu machen bräuchte", gab es keine Besserung.
In meiner Abhängigkeit von ihr, konnte ich mir nicht erlauben, Kritik zu äußern, dass sie nicht mehr kommunizierte, ihre Motivation weg war und andere im Team sich inzwischen mehr Mühe gaben als sie. Die Erfahrung musste ich schon früher machen, dass das ganz bös endet, weil es sehr übel genommen wurde und sie dann mit Worten, mich tief verletzend, um sich schlug.
Ich habe ihr gesagt, dass sie mich meine Abhängigkeit von ihr so brutal spüren lassen würde und es schön wäre, wenn sie mich wenigstens ab und zu fragen würde, was ich möchte. Sie erklärte mir, dass sie es aus ihrer Persönlichkeit heraus nicht könnte, zu fragen und sie gegen meine Abhängigkeit nichts tun könne. Abhängig bliebe ich jetzt immer bis zu meinem Tod.
Grotesk, dass mir ausgerechnet diese Pflegeperson oft dozierend darlegte, dass die heutige häusliche Pflege als Dienstleistung gesehen werden muss und der Pflegende dem Hilfsbedürftigen dienen bzw. assistieren sollte im besten Sinne des Wortes.
"Dienstleistung = was möchten Sie? Was kann ich für Sie tun?"
- So wurde die Situation der Abhängigkeit für mich zusehens unerträglicher. Ich musste akzeptieren, dass sich die Pflegeperson absolut verweigerte mich zu fragen, ob ich gewaschen werden möchte. Wenn ich nicht fragte, ob sie mich bitte wäscht, fand nichts statt. Leider habe ich mich bisher nur von 4 Pflegepersonen aus meinem Team waschen lassen, weil ich es nicht prickelnd finde, wenn mich wahllos jeder auf intimste Weise sehen und berühren darf. Dadurch fiel die Verweigerung dieser Pflegeperson sehr ins Gewicht.
Da mich die Pflegeperson einfach nicht mehr fragte, musste ich annehmen, dass sie mich nicht mehr waschen, pflegen und durchbewegen wollte. Ich fühlte mich so gedemütigt, dass sie mich nur noch anfasste, wenn ich ausdrücklich darum bat. Ich hatte dabei die Vorstellung, dass sie es eigentlich nicht tun wollte. Dadurch war es mir auch meistens vollkommen unmöglich, sie doch darum zu bitten. Jemanden anderen aus dem Team zu fragen, fiel mir dann auch sehr schwer, weil ich mich nicht erklären wollte, dass die von mir bisher immer so geschätzte Pflegeperson sich jetzt so verhielt. Dadurch kam es dann immer öfter zu der Situation, dass ich nicht mehr ausreichend gewaschen wurde.
Unter dem "Nicht kommunizieren" litt ich unsäglich und die stetige Anwesenheit, in dem sie bei mir saß und demonstrierte, "du brauchst mich nur zu fragen, dann tue ich auch das Gewünschte" war mitunter kaum auszuhalten. Ich habe deshalb viele Tränen vergossen, weil ich mich immer wieder sehr verletzt und gedemütigt fühlte.
Leider konnte ich die Situation nicht retten, durch die Auflösung unserer Zusammenarbeit, hat sich dieses Problem auf traurige Weise gelöst.
Die Pflege in der Häuslichkeit ist eine Ausnahmesituation, in der die Pflegeperson und der Hilfsbedürftige immer wieder durch Abhängigkeit in solche Gewalt ausübende Lagen kommen können. Fatal ist, dass hier 2 Personen allein und unbemekt von anderen, oft über längeren Zeitraum versuchen, das auszuhalten.
Ich finde es unsäglich schade, dass ich diese Situation aus eigener Erfahrung so beschreiben kann und wir nicht in der Lage warenuns aus dieser Gewaltsituation auf andere Weise zu retten...