22.08.2010
Heute ist ein strahlender Sonnen-Sonntag, ich bin ungefähr um 5:30h aufgewacht und konnte der Sonne beim Aufstehen zusehen...
Ein schönes Schauspiel, das wir so oft achtlos erleben, obwohl es jedes Mal einzigartig ist.
Mich haben heute morgen ganz viele Gedanken gefangen genommen, es gibt so viele Alltagsprobleme, die ich immer wieder wälze...
Heute war ich beim Erleben des Sonnenaufgangs einerseits für mich sehr froh, andererseits unendlich traurig, weil ich gestern erfahren habe, dass Christoph Schlingensief seinen Kampf gegen den Krebs verloren hat.
Wahrscheinlich kann man das gar nicht so richtig verstehen, warum mich das so über die Maßen berührt – ich kannte ihn nicht persönlich, er war nicht mein Freund – und doch war er mir so vertraut und wichtig.
Ich habe in früheren Jahren von seinen Projekten gehört, die Schlagzeilen über ihn gelesen, jedoch ihn erst wirklich in der Reportage „Mit den Augen tanzen“ mit Angela Jansen und durch sein Buch – So schön wie hier kann´s im Himmel gar nicht sein! - „kennen gelernt“.
Seither war er für mich eine ganz besondere Persönlichkeit, er verkörperte für mich so viel. Seine unumwundene Ehrlichkeit, seine große Lebensfreude und sein Lebenskampf hatten für mich Vorbildcharakter. So vieles, das er sich traute auszudrücken, sprach mir aus der Seele. Er gab mir das Gefühl von Sicherheit, dass durch Mut, Willen und Kampf ganz viel zu schaffen ist – auch dem Feind Krebs ausreichend Paroli zu bieten...
Es ist so unendlich schade, dass er viel zu früh seinen Kampf gegen ihn doch verloren hat. Für mich jedoch tröstlich, dass er in seinen „nur“ 49 Jahren auf dieser Erde, die er so schön fand, so viel geschaffen, bewirkt, erlebt hat, wie so viele niemals erleben und schaffen, auch wenn sie gesund 120 Jahre würden.
Natürlich stelle ich mir auch aufgerüttelt die Frage nach meinem weiteren Werdegang, was ich noch möchte und was mich wohl noch erwartet.
Meine Krebsdiagnose ist nun schon 3 ½ Jahre her und die Behandlung war bisher so erfolgreich, dass derzeit der Tumor zwar noch gut tastbar ist, jedoch sich anscheinend etwas verkleinert und verkapselt hat und bisher nicht gestreut hat. Das ist ein großes Glück und ich stelle mich dem Problem bewusst nicht täglich, sondern versuche mich damit zu arrangieren, dass der Krebs in mir wohnt. Keinesfalls möchte ich den Krebs reizen, was mir jedoch wahrscheinlich nicht immer gelingt. Ich schlafe nicht ausreichend, ernähre mich nicht immer gesund und lasse zu, dass mich die widrigen „Alltagsproblemchen“ immer ziemlich umtreiben und sorgen.
Doch was möchte ich noch in meinem Leben, wie soll meine Zukunft aussehen?
Von meinem Bett aus betrachtet, das ich nun schon fast 4 Jahre nicht mehr verlassen konnte, erscheinen mir meine Zukunftswünsche zwar immens groß, weil ich in allem auf die Hilfe anderer angewiesen bin, dennoch müssten sie erfüllbar sein...
Und ich bemühe mich derzeit sehr, ausreichend viele geschickte und motivierte, mir assistierende Hände zu finden. Ich möchte erreichen, dass meine Pflege gesichert ist, dass ich immer gut abgesaugt werde, ausreichend schlafen kann, ich ausreichend „gewaschen und gecremt“ werde, ich mitdenkende und gut kommunizierende Assistenten habe, die mein Zeitproblem erkennen und verstehen und deshalb gerne rasch und zügig ihre Assistenzaufgaben erfüllen.
Ich mag noch ein bisschen was erleben, nach dem Motto: Man soll alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.
Es wäre riesig schön, wenn ich hier noch einige Konzerte und Lesungen erleben könnte und ich habe die große Hoffnung, dass unser diesjähriger Weihnachtsbasar dafür einen Grundstock legt, dass wir uns das im nächsten Jahr leisten können.
Ich wünsche mir genügend Kraft und Geschick, mein Assistenzteam ausreichend zu motivieren und dass wir zusammen noch viel Freude haben können. Möge der Satz: „Stell dir vor, es geht, und keiner kriegt`s hin“, (der über meinem Bett hängt), kein Ausdruck von Frustration, sondern Ansporn es gemeinsam zu schaffen, sein.
Bei allem Denken und Handeln wünsche ich mir die Gelassenheit, die aus der ruhigen Betrachtung der Dinge um uns herum entsteht und die Freiheit sowie Klugheit sich die Zeit für alles oder auch nichts nehmen zu können – zwischendurch.
Ich werde die Traurigkeit über den viel zu frühen Weggang von Christoph Schlingensief irgendwann überwinden, doch er wird mir immer sehr wichtig bleiben. Ich wünsche ihm und uns, dass es im Himmel doch noch schöner sein kann, als hier... und ich hoffe für uns, dass wir hier noch ganz viele Ziele erreichen, die wir uns stecken.